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Sandras Weg mit Long Covid

Hallo, ich heiße Sandra und bin 44 Jahre alt.

Ich würde mich als sensibel, feinfühlig, als Herzensmensch, als grundsätzlich aktiven Menschen beschreiben. Ich liebe die Natur, die Ruhe. Ich liebe Fahrrad fahren; wenn der Wind mir entgegenbläst – dann fühle ich mich lebendig.

Ich habe mich schon immer gerne für die gute Sache eingesetzt und wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig. Ich hatte ein aktives Leben, Arbeit, Familie, Ehrenamt, Freunde, Musik, Sport, Bewegung.

Und dann kam die Infektion – zunächst ein eher milder Verlauf , aber dann nach und nach kamen Symptome wie Kopf- und Gliederschmerzen, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen dazu. Nach einer OP schließlich der totale Zusammenbruch. Nichts ging mehr.

Nach und nach stellte sich heraus: Ich habe Long-Covid.

Ich wollte dem ganzen nicht ohnmächtig gegenüberstehen, wollte etwas dagegen unternehmen.

Mir war klar, dass Heilung ganzheitlich angegangen werden muss. Also habe ich mich beim Rehasport angemeldet, beim Atemyoga, habe nach und nach meine Ernährung umgestellt und viel meditiert. Ich habe mich einer digitalen Selbsthilfegruppe angeschlossen und eine Reha beantragt.

Für mich war klar – so schnell wie möglich wieder fit zu werden um wieder arbeiten zu können.
Aber daraus wurde nichts.

Der Körper und die Seele brauchten Zeit und kleine Schritte.

Zunächst konnte ich nicht abschätzen was das richtige Maß war an körperlicher, geistiger, und emotionaler „Aktivität“ doch nach und nach lernte ich dazu und ich konnte meinen Körper immer besser einschätzen.
Ich lernte was Begriffe wie Pacing , Baseline, PEM und Crash bedeuten und übte mich jeden Tag aufs Neue in Selbstliebe. Selbstfürsorge und Akzeptanz.

Eine Reha, in der auch die Diagnose ME/CFS gestellt wurde, und das anschließende Nachsorgeprogramm brachten weitere Fortschritte so dass ich in absehbarer Zeit meinen Wiedereinstieg in den Beruf plante.
Aber dann kam alles anders- ein Infekt, familiäre Belastungen und weitere Faktoren führten dazu, dass ich einen Crash bekam, der lange anhielt und ich mich immer weiter verschlechterte.

Ich habe über Wochen kaum geschlafen und konnte meinen Körper immer weniger einschätzen.
Von jemand, der gerade noch seinen Wiedereinstieg in den Beruf plante wurde ich fast pflegebedürftig.

Durch verschiedene Maßnahmen, Unterstützung durch die Familie und viel Disziplin schaffte ich es aber nach und nach wieder aus dem Tal empor zu steigen. Aber leider nicht mehr wie vor dem Crash.

Seither ist mein Leben mit sehr vielen Einschränkungen verbunden. Jede Aktivität will gut überlegt sein, sonst kann es passieren, dass ich am nächsten Tag mit Gliederschmerzen im Bett liege.
Und mit Aktivität meine ich etwa Duschen, Kochen, an guten Tagen 20-30 Min spazieren gehen, eine Freundin für eine Stunde treffen.

Geburtstagsfeiern, Konzerte etc. sind nur mit guter Planung möglich, da mich zu viele Reize überfordern.
ME/CFS ist eine komplexe, neuroimmunologische Erkrankung, die zwar schon lange existiert, aber jahrelang nicht beachtet, bzw. psychosomatisiert wurde. Forschung hat jahrelang nicht oder nur in geringen Maße stattgefunden.

Es gibt Tage, da freue ich mich über jeden Fortschritt und an den kleinen Dingen des Lebens. Da überwiegen Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen, dass ich eines Tages wieder gesund werde. Aber es gibt auch Tage, an denen dies mir nicht gelingt. Da überwiegt die Trauer über die Erkrankung und die damit verbundenen Einschränkungen. Da kommen Erinnerungen hoch an die Vergangenheit, die Sorge darüber wie alles weitergeht, die Trauer und der Schmerz, über das was ich erlebt habe und was ich gerade nicht kann.

Ich habe mittlerweile gelernt, dass beides sein darf.

Ich vermisse es unüberlegte Sachen zu tun, mich sportlich zu betätigen, Tagesausflüge zu machen,Kurztrips, Urlaube, Konzerte zu besuchen, essen zu gehen, im Chor zu singen und nicht zuletzt zu arbeiten.

Und gleichzeitig habe ich durch die Erkrankung vieles über mich selbst gelernt und bin um einiges dankbarer. Meine körperlichen Grenzen haben mich gezwungen alte Gewohnheiten und limitierende Glaubenssätze zu hinterfragen.

Ich bin unendlich dankbar für die Unterstützung meiner Familie, meiner Freunde, meines Umfelds und meines Arbeitgebers. Sie zeigen mir immer wieder aufs Neue, dass ich wertvoll bin, so wie ich bin, unabhängig von meiner Erkrankung.

Ich bin gespannt wie mein Weg weitergeht und der Traum von einer guten Zukunft gibt mir Hoffnung.

(Das Bild, das diesen Post illustriert, ist ein Stockfoto. Es zeigt nicht die Autorin.)

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