Es ist der 17 Februar 2025. Ich bin gerade aufgewacht und starre an die noch dunkle Decke meines Zimmers.
Mein T-Shirt und die Bettwäsche bleiben bei den ersten leichten Bewegungen an meinem durchschwitzten Körper kleben. Alles ist feucht. Es fühlt sich ekelhaft an.
Stöhnend schiebe ich meinen schweren, energielosen Körper in eine leicht aufrechte Position. Ich checke die Pulsuhr. 89 Schläge blinkt mir die Digitalanzeige entgegen. Erleichtert atme ich auf. Die Nacht scheint überstanden.
Mir ist als hätte ich ein Notbiwak irgendwo im Himalaya auf über 8000 Metern Höhe, nur knapp überlebt. Mein Körper ist schwach. Wenn ich aufstehe wird mir schwindelig. Mein Puls schnellt schlagartig auf 130, wenn ich mich nur geringfügig bewege. „Besser ich bleibe liegen“, denke ich.
Die Nacht war ein absoluter Horror. Ich konnte kaum Schlaf finden. Nach jeder einzelnen kurzen Stunde Schlaf, erwachte ich jedes mal aufs Neue. Panikattacken quälten mich. Mein Puls kam in dieser Nacht kaum unter 110 Schläge. Ich hatte Angst einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Ich befürchtete die Atmung oder mein Herz könnte einfach aussetzen.
Gefühlt hatte ich in dieser einen Nacht mehrere Herzinfarkte
Doch ich war noch am Leben. Ich taste mit meiner linken Hand das Nachtkästchen ab, um mein Smartphone zu greifen. Als ich es erwische, tippe ich mit langen, tiefen Atemzügen und zittrigen Fingern in meine Google Notizen: „Mein Herz schlägt. Ich kann atmen. Ich kann meine Beine bewegen. Ich kann sehen. Ich kann fühlen. Ich kann denken.“
Die Sonne blinzelt verlegen durch die kleinen Schlitze der Jaloussien in meinem Schlafzimmerfenster. Ein Fünkchen Energie erwärmt zurückhaltend einige Zellen in meinem noch schwachen Körper. Langsam richte ich mich auf und setzte mich an den Rand meines Bettes. Wieder durchfuhr meinen Körper schlagartig ein Gefühl von Schwindel und Benommenheit. Mein Herz pocht bis unter die Kopfhaut. 120 Schläge zeigt die Pulsuhr.
Ich warte sitzend etwa sechs bis sieben Minuten ab, bis der Puls auf unter 100 Schläge sinkt. Dann richte ich mich langsam, die linke Hand gegen die Wand stützend, auf. Das Blut sackt ab. Ich schwitze. Die Beine zittern. Von der einstigen Kraft, die mich tausende Höhenmeter in die Berge getragen hatte, ist nur mehr wenig übrig.
Vor 2 Jahren hätte ich früh morgens voller Tatendrang meinen Rucksack gepackt
Ich wäre zu irgend einem Bergabenteuer aufgebrochen. Ich wäre über 10 Stunden durch unwegsames, felsiges Gelände marschiert, über ausgesetzte Grate geklettert, über moos- und nadelbedeckte Wald- und Almböden gelaufen, geschickt über Schrofen und Felsabsätze gestiegen und über blauschimmernde Gletscherzungen gewandert. Wahrscheinlich wäre ich auf einem der vielen hohen Gipfeln auf über 3000 oder 4000 Metern gestanden und hätte mit Freude in den Augen und einer Leichtigkeit im Herzen kilometerweit in die friedvolle und stille Bergwelt geblickt.
Heute am 17. Februar 2025 bin ich froh wenn ich es die vier Meter bis ans andere Ende meines Schlafzimmers bis zum Fenster schaffe.
Meine Welt und meine Abenteuer sind auf eine Zimmergröße von rund 12 Quadratmeter zusammengeschrumpft
Mein Gipfel ist es jetzt, wenn ich das Fenster meines Zimmers alleine öffnen kann, die Sonne mein Gesicht wärmt, die Vögel ein buntes Konzert geben und eine leichte Brise meine vom Schweiß verklebten Haare streift. Wenn ich die Augen schließe bin ich wieder bei meinen vielen Gipfeln in den Bergen. Doch der Blick reicht in der Realität nur bis zu nächsten schattigen Gebäudemauer und meine stillen Gedanken werden von den lauten Motorengeräuschen, der auf der Hauptstraße vorbeirauschenden Fahrzeuge, unterbrochen.
Meine Freude über die wärmenden Strahlen der Sonne und die überstandene Nacht wird plötzlich von negativen Gedankenfetzen überschattet. Ich krieche wieder zurück in mein Bett und mumme mich wie in einen Schlafsack ein. „Was ist, wenn dieser Zustand so bleibt“, denke ich mir nervös. „Was ist wenn das einfach nicht mehr weggeht. Wenn das nie wieder weggeht. Was ist, wenn ich einfach liegen bleibe und von nun an diese vier Wände 24/7 meinen Lebenshorizont darstellen? Wenn ich hier gefangen bleibe, nie wieder etwas anderes – nie wieder Berge sehe und nie wieder auf einem Gipfel stehen kann?“
Die Vorstellung daran ist fürchterlich und kaum auszuhalten. Ich versuche mir einzureden, dass es zwar jetzt so ist, aber dieser Zustand nicht meine Zukunft sein muss. Mein Kopf allerdings hört nicht auf. „Was wenn es doch so bleibt?“, hält er hartnäckig dagegen. Nicht mehr auf Berge steigen zu können wäre dann wahrscheinlich das geringer Übel.
Während ich noch der aktiven Zeit in den Bergen nachtrauere überrollt mich eine existenzielle Gedankenlawine und ich stelle mir Fragen die noch lange Zeit unbeantwortet bleiben werden:
Kann ich mir das Kranksein überhaupt leisten? Wenn ja, für wie lange? Reicht mein Erspartes? Kann ich das Haus erhalten und die Betriebskosten zahlen? Wer kann mich unterstützen wenn ich nichts mehr für mich selbst tun kann?
Meine Mutter wird nicht ewig leben, wer ist dann noch da für mich?
Wenn ich nur mehr Liegen kann, was bin ich dann noch für ein Mensch? Welchen Wert habe ich dann noch für mein Umfeld? Was bin ich dann für ein Mann, für ein Partner? Verliere ich vielleicht gar meine Partnerin? Und was bin ich dann noch für ein Vater? Kann ich noch ein Vorbild sein für meinen Sohn, wenn ich mich kaum noch bewegen kann? Wer bin ich in diesem bescheidenen Zustand noch? Was bleibt dann übrig von mir?
Meine Stirn spannt sich an. Der Magen krampft und ich merke wie sich innerlich die Wut zusammen staut. Ich verstehe nicht was mit meinem sonst so energiegeladenen Körper passiert ist. Verstehe nicht warum Medizinerinnen, Therapeutinnen und Verwandte nicht helfen wollen. Warum niemand weiß was genau mit meinem Körper los ist, wie es mir geht und welche unglaublichen Ängste das alles auslöst. Ich fühle mich alleine gelassen. Von allen.
Als würde ich an einem dünnen Seil über einem dunklen Abgrund baumeln
Wie auf einem steilen und ausgesetzten, felsigen Berggrat irgendwo zwischen 3000 und 4000 Metern. Die Luft ist dort schon etwas dünner. Das Atmen wird schwer und man muss die verbleibende Luft bewusst in seine Lungen pressen. Die Atemzüge sind lang und tief, und dennoch bleibt das Gefühl nicht genug Luft zu bekommen. Der Kopf drückt als wäre er in einen Schraubstock eingespannt. Die Beine sind bleiern und lassen sich nur schwer bewegen. Als hätte ich schon einen mehrtägigen Aufstieg von mehreren tausend Höhenmetern hinter mir. Die Energiereserven scheinen erschöpft und der Körper erwehrt sich gegen jeden neuen Schritt.
Doch der Grat ins Ungewisse, er hört nicht auf. Die weitere Route oder der Gipfel sind nicht in Sicht. Alles rund herum wird von einer dichten grauen Nebelmasse verschluckt. Man schwankt über dem Abgrund. Links und Rechts rauschen die dunklen und abweisenden Felswände hunderte Meter hinab zum Gletscher. Man kann nicht erahnen, wie es weiter gehen wird. Wird das Gelände einfacher? Ist das schlimmste bereist hinter mir? Werde ich die nächsten Schwierigkeiten meistern können, oder überfordere ich mich und stürze ins Leere?
Jeder Schritt zu viel ist ein Wagnis – ein Tritt ins Ungewisse
Es ist niemand da der den Weg kennt. Niemand der einen ans Seil nimmt und sichert. Es ist keiner da der einem gut zuredet. Zumindest ist das selten der Fall. Manchmal überholt man einen anderen Kletternden, wird selbst überholt, oder geht zumindest ein kleines Stück gemeinsam des Weges. Doch den Großteil der Strecke legt man im Alleingang zurück. Ungesichert, ohne technische Hilfsmittel.
Dort wo man herkommt, kann man nicht mehr zurück. Der Gratverlauf ist ein stetiges auf und ab. Wo der Weg hinführt, ist nicht ersichtlich. Ob man den Gipfel je erreicht, bleibt ungewiss. Ein Balanceakt auf einem unsichtbaren Grat. Ein Berg, auf den man steigt, ohne je einen Gipfel zu erreichen.
Michael
Linz, 03. November 2025
Michael verarbeitet sein Long Covid, indem er aktuell an einem Buch schreibt. In diesem Buch schildert er sein Leben mit Long Covid. Der Text oben ist ein erster Auszug aus dem noch unfertigen Manuskript. Außerdem verfasst Michael Gedichte.
Nie wieder?
Nie wieder mit blanken Handflächen
sonnenwarme Kalkfelsen abtasten.
Nie wieder die Schweißperlen des letzten Aufstieges
von der Gipfelsonne trocknen lassen.
Nie wieder das Gewicht eines Rucksackes
auf den Schultern spüren.
Nie wieder den Geruch des Kiefernharzes von,
in Hitze getränkten, Legeföhren wahrnehmen.
Nie wieder einer kühlen Sternennacht
auf über 2000m lauschen.
Nie wieder mit nackten Füßen über weiche, vom letzten
Regenwasser durchtränkte, Moospölster wandern.
Nie wieder dem Klang der Kuhglocken
auf eine weit entfernte Almweide folgen.
Nie wieder die Kraft eins Energiegeladenen
Herzschlages bei der außergewöhnlichen Anstrengung
eines steilen Aufstieges spüren.
Nie wieder in die Weite des Himmels lauschen
und mit den Augen den markanten Felsformen folgend,
Gipfel für Gipfel überschreiten.
Nie wieder?
Linz, 15.10.2025
Lichtgewitter
Gefangen zwischen Wänden und Abgründen.
Umgeben von Schmerz und Dunkelheit.
Plötzlich ein Lichtgewitter der Hoffnung spüren.
Ein orange, goldener Funke erhellt
deine ängstliche Seele.
Energie wahrnehmen, wo gegenwärtig keine ist.
Eine ganze Welt hinter sich lassen.
Freudig bewegende Erinnerungen voller Aktivität.
Sie verblassen im Angesicht der gegenwärtigen Strapazen.
Ein dunkler Schleier verschluckt die letzten Energiereserve.
Die Schwerkraft zerrt Gedanken und Gliedmaßen nach unten.
Wenn ich wieder Energie habe werde ich sie aufheben.
Ihnen gut zu reden. Dann, wenn ich wieder Energie habe.
Bevor erste Hoffnungsschimmer erneut im dunklen Schleier des neuen Alltags verschwinden. Irgendwo im innersten – so denke ich mir – bilden sich immer wieder von neuem kleinste Energiepartikel.
Hoffnungsträger, die aufleuchten um kurz darauf wieder zu verglühen. Dieses Wunder vollzieht sich unaufhörlich. Ein Funke da, ein Funke dort. Zuerst noch schwach und zurückhaltend. Doch mit jedem neuen positiven Gedanken den ich entgegen der Schwerkraft aufhebe, erhellt ein kleiner orange goldener Funke die Dunkelheit meines Alltags.
Und schließlich werden die vielen kleinen orange goldenen Funken zu einem hoffnungsfrohen Lichtgewitter.
Es erfüllt mein Herz und meine Seele mit neuer Energie.
Energie die immer da ist auch wenn mein Körper
sie nicht immer spüren kann.
Traun, 03.05.2025
